Verbindlichkeit in hündischen Sozialbeziehungen

Eine der Fragen, die mir am häufigsten gestellt wird, wenn mich Leute mit meinen vier Hunden sehen, ist „Und die vertragen sich alle?“. Das finde ich sehr spannend, weil es deutlich widerspiegelt, was für ein Bild viele Menschen vom sozialen Miteinander von Hunden haben. Wenn man sich auf Hundewiesen und in vielen Hundeschulen umsieht, ist das auch kein Wunder, denn sehr oft werden die Hunde dort frei zusammen laufen gelassen, um zu „spielen“ und die Menschen stehen am Rand und sehen dem wilden Treiben zu. „Sie sollen das unter sich ausmachen!“, heißt es dann oft.

Betrachten wir das Ganze jetzt mal aus der Sichtweise eines Hundes, wird hoffentlich schnell klar, warum ich solchen Aktionen sehr kritisch gegenüberstehe. Ein Hund und sein Mensch treffen auf fremdem Gelände, also nicht in der Sicherheit des eigenen Zuhauses, auf andere Hunde und deren Menschen und es kommt zum Kontakt. Die Hunde wollen nun vom Gegenüber erst einmal wissen, wer er oder sie überhaupt ist und ob Konkurrenz oder vielleicht sogar Gefahr besteht. Denn das grundlegendste Bedürfnis eines jeden Hundes (und Lebewesens) ist es, für seine Sicherheit zu sorgen und seine Ressourcen, also alles, was ihm wichtig ist, zu verteidigen. Kurz gesagt: Ein jedes Lebewesen hat immer das Bedürfnis, zu überleben! Ist klar, oder?

Treffen sich nun diese Hunde, die sich zwar vielleicht bekannt sind, aber nicht zusammen in einer Gemeinschaft leben, kommt es also automatisch zu Konflikten. Das müssen keine großen Angelegenheiten sein! Häufig ist es nur eine gewisse Grundspannung, die entsteht, weil man nicht vertraut miteinander ist. Viele Hunde, die regelmäßig in solche Situationen gebracht werden, haben gelernt, nicht gleich mit Kampf auf diese Konflikte zu reagieren, sondern stattdessen meistens mit Rennen und Herumblödeln. Das ist besser als sich zu prügeln, keine Frage! Aber Stress ist es für die beteiligten Hunde trotzdem und eines ist es ganz gewiss nicht: Spiel! Genau das denken die Hundehalter aber, die den flitzenden, tobenden Hunden zusehen. Und genau da liegt auch das Problem. Denn spätestens, wenn es mal ernster wird und „fiddle about“ („Herumblödeln“) nicht mehr als Konfliktlösestrategie funktioniert, oder auch dann, wenn der Mensch seinen Hund abrufen und weitergehen möchte, wird es endgültig unfair. Wenn die Hunde ihre logischen Konsequenzen aus der „Lass sie machen!“-Mentalität ihrer Halter ziehen, finden das die Menschen dann nämlich meistens nicht mehr ganz so lustig. Wenn der Abruf also beim einen Ohr rein und beim anderen wieder rausgeht oder sich die zwei Hunde, die jetzt etwas ernster ihre Standpunkte verteidigen wollen, in die Wolle kriegen, wollen die Menschen plötzlich wieder Mitspracherecht haben. Sie erwarten nun also, dass ihre Hunde alles stehen und liegen lassen, brav zu ihnen kommen und wieder „lieb“ sind. Ist das fair? In meinen Augen nicht!

Ich kann nicht erst zu meinem Hund sagen: „Mach‘, wie du denkst!“ (= „Du bist auf dich allein gestellt.“) und dann, wenn mir sein Verhalten plötzlich nicht mehr in den Kram passt, erwarten, dass er auf einmal meine Entscheidungen akzeptiert. Für unsere Hunde muss das Gesamtbild passen! Entweder lassen wir sie wirklich einfach machen und leben dann mit den Konsequenzen, was in der Welt der Raubtiere, zu denen unsere Hunde schließlich gehören, aber auch mal hässlich werden kann. Oder wir lassen uns auf eine tiefere Beziehung zu ihnen ein, übernehmen Verantwortung für unsere kleine Gruppe und werden zu Sozialpartnern, auf die sich unsere Hunde wirklich verlassen können. Mal so und mal so ist nicht fair. Hunde wünschen sich Verbindlichkeit in ihren Sozialbeziehungen.

Und genau so denke ich auch über die Mehrhundehaltung. Meine Hunde bekommen von mir klare Führung und wissen, dass ich ihnen jederzeit als Unterstützung zur Verfügung stehe, wenn sie mich brauchen. Sie wissen auch, dass ich dafür sorge, dass alle, die an unserer Gemeinschaft teilhaben – Hunde wie Menschen! – sich an grundlegende Regeln im Umgang miteinander halten. Wenn alle ihren Platz kennen und höflich miteinander umgehen, sind keine großen Auseinandersetzungen mehr nötig. Natürlich gibt es immer mal kleine Diskussionen und Streitereien und das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen allen Mitgliedern der Gruppe musste auch überhaupt erst einmal wachsen und sich entwickeln. Unsere Beziehungen zueinander wollen jeden Tag im Rahmen eines gesunden, sozialen Miteinanders gepflegt werden und natürlich ist das Ganze nicht statisch. Jeder hat mal gute und schlechte Tage und manchmal ändern sich Dynamiken im Laufe der Zeit, weil zum Beispiel ein junger Hund erwachsen wird oder ein älterer Hund nicht mehr so fit ist, wie er es früher einmal war. Aber es gibt keine großen grundsätzlichen Konflikte zwischen den Hunden. Keiner gockelt durch die Wohnung und führt sich auf wie der König der Welt und wenn ich eine klare Ansage mache, dann gilt diese auch – für alle! Die Junghündin geht den Älteren nicht auf die Nerven, der Extrovertierte büffelt die Introvertierten nicht über den Haufen, keiner geht ans Futter der anderen und die Grande Dame darf gerne ihren Nahbereich für sich beanspruchen, wenn sie das will, aber nicht ein ganzes Zimmer. Und weil wir solche grundsätzlichen Dinge geklärt haben, kommen meine Hunde auch auf engem Raum gut miteinander zurecht.

Das habe ich aber nicht dem Zufall überlassen, sondern beim Einzug eines jeden neuen Hundes von vorneherein so geformt, wie ich es für richtig gehalten habe und ich bestehe immer wieder darauf, dass gewisse Grundsätze eingehalten werden. Außerdem habe ich meine Hunde natürlich gut kennengelernt! Auch heute noch beobachte ich sie jeden Tag viel und gerne und bemühe mich immer, mein Bild von ihnen so aktuell und umfassend wie möglich zu halten. Alle vier sind Individuen, die eigene Bedürfnisse und Kompetenzen haben und dementsprechend auch teils unterschiedliche Privilegien und Grenzen.

Hunde gut, klar zu führen, ob einen einzelnen oder eine ganze Gruppe, hat nichts mit Härte und Kasernenton zu tun, sondern mit viel Achtsamkeit, Nervenstärke und Beharrlichkeit. Meine Hunde wollen von mir, dass ich aufmerksam bin, also meine Umwelt immer bis zu einem gewissen Grad wahrnehme, auch wenn ich zum Beispiel, wie jetzt gerade, am Laptop sitze und einen Text schreibe. Sie wollen, dass ich einen kühlen Kopf bewahren kann, wenn eine Situation mal stressig wird, denn nur so kann ich auch gute Entscheidungen zum Wohl der Gruppe treffen. Und ob ich überhaupt gute Entscheidungen treffen kann, wollen sie im Übrigen auch wissen! Denn Entscheidungen treffen tut schließlich jeder ständig, nur ob diese auch sinnvoll sind und andere sich anschließen sollten ist eben die Frage. Sie wollen auch wissen, ob ich in der Lage bin, Raum zu beanspruchen und andere zu bewegen und einzuschränken. Wenn ich das innerhalb der Gruppe kann, ist schließlich die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich es bei anderen Lebewesen, die nicht zur Gruppe gehören, auch können werde. Und damit bin ich in der Lage, uns vor möglichen Gefahren zu schützen und unseren Raum und unsere Ressourcen zu verteidigen. Meine Hunde wollen aber nicht nur wissen, ob ich Raum verwalten kann, sondern auch, ob ich Einfluss auf das Energielevel von anderen und von mir selbst habe, also ob ich emotional stabil bin oder ob ich mich leicht provozieren lasse und mich Anspannung und Druck schnell aus der Bahn werfen. Wer mich näher kennt weiß, dass da meine persönlich größte Herausforderung liegt.

Das alles sind wichtige Führungsmerkmale, die es meinen Hunden ermöglichen, mir Verantwortung für unsere Gruppe zu überlassen, sich zu entspannen und mir zu folgen. Natürlich bin ich absolut nicht perfekt und nicht immer konstant und entsprechend sind auch meine Hunde mal mehr und mal weniger bereit, sich mir respektvoll anzuschließen. Das ist auch ihr gutes Recht! Ich arbeite aber kontinuierlich an mir, um klarer und gelassener zu werden. Das tue ich zum Wohle meiner Hunde, aber noch viel wichtiger auch zu meinem eigenen Wohl. Durch mein Rudel bin ich jeden einzelnen Tag dazu angehalten, mich selbst zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Jeder Spaziergang ist wie eine Meditation, weil wir nur dann gut als Gruppe funktionieren, wenn ich auch wirklich im Hier und Jetzt bin – bei meinen Hunden! Nur, wenn ich mein eigenes Ego und meine Erwartungshaltungen zur Seite legen kann und mich nicht im Außen verliere, entsteht Weichheit und Offenheit und ein harmonisches Miteinander. Dann bewegen wir uns wie eine Einheit durch die Welt und genießen ohne Worte und Konflikte miteinander die Natur. Es gibt kaum ein besseres Gefühl als das!

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Nr. 1 - Der Hund als Sozialpartner